Ein Museum als „das bessere Netflix“?
Zwei Formate, zwei Produktionen, eine steile Lernkurve
Im September 2020 eröffnete das Zeppelin Museum die Ausstellungsreihe „Beyond States“, im Februar 2021 wurde die physische Ausstellung eröffnet. Beide Male ohne Publikum vor Ort. Aber – mit Hilfe der bewegtbildwerft – digital, live und interaktiv. Dominik Busch, Kurator und Leiter der Abteilung Diskurs & Öffentlichkeit des Zeppelin Museums, blickt aus seiner Sicht auf die Produktion zurück.
„Museen müssen das bessere Netflix werden“, fordert Peter Weibel, Direktor des ZKM in Karlsruhe. Netflix sei dramaturgisch besser als Fernsehen und der neue Standard im Netz. Jetzt – in Zeiten eines pandemie-bedingten musealen Digitalisierungsschubs – sei es an den Museen, digitale Formate zu entwickeln, „die im Netz einzigartig sind, aber auch das Publikum beteiligen.“ Das Museum also als interaktives Netflix?
Diskurs Digital Ausstellen
2020 sahen sich Museen international mit den Folgen der Corona-Pandemie konfrontiert: Anfangs nicht absehbare Schließzeiten bedeuteten nicht nur ausbleibende Besucherinnen, sondern in der Konsequenz auch ein Neudenken der Besucherinteraktion und der Vermittlung musealer Inhalte.
Das Zeppelin Museum Friedrichshafen befand sich zudem in der besonderen Situation, dass sein Ausstellungsprojekt „Beyond States. Über die Grenzen von Staatlichkeit“ durch die weltweite Pandemie eine neue gesamtgesellschaftliche Dringlichkeit erfuhr. Fragen nach der gegenwärtigen Bedeutung des Staats und seiner drei konstituierenden Merkmale – Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsbürgerschaft – bestimmten zunehmend den öffentlichen Diskurs.
Wie diese Aktualität darstellen? Wie die Anbindung an die Lebenswelten der Userinnen ermöglichen, ohne dabei der Ausstellung vorzugreifen oder sie nur digital zu reproduzieren? Wie sowohl den kuratorischen als auch den gesellschaftlichen Prozess offen gestalten?
Der Ansatz des Museums lag in der Erweiterung des Ausstellungsformats: Durch einen „digitalen Prolog“ sollte die physische Präsentation vorbereitet und dabei die diskursive und partizipative Verschränkung der Ausstellungsinhalte mit den anhaltenden sozio-politischen Entwicklungen ermöglicht werden. Aus diesen Ansprüchen heraus entwickelte das Zeppelin Museum in einem halbjährigen, abteilungsübergreifenden Prozess das erste debatorial®. Eine neue digitale Debattenplattform, die ausgehend von den Inhalten der Ausstellung durch live-Formate, Podcasts, Kommentarfunktionen und andere interaktive Elemente einen transdisziplinären Diskurs initiieren und dokumentieren will. Die Ergebnisse werden dabei in die später eröffnende, physische Ausstellung einfließen und so digital und analog zusätzlich miteinander verknüpfen.
Launch live
Partizipation geschieht aber selten einfach so. Interaktion und „Traffic“ folgen der Bekanntheit einer Plattform geradezu äquivalent. Das debatorial® bekannt zu machen war also mindestens so wichtig, wie seine Konzeption selbst.
Das Team des Museums hatte dabei recht konkrete Vorstellungen eines Launch-Events, als ich mich an Christian Wütschner von der bewegtbildwerft wandte: Eine live-gestreamte Vorstellung des Gesamtprojekts, ein Expertinnen- und ein Kuratorinnengespräch. Schon im ersten telefonischen Gespräch wurde klar, dass wir mit der bewegtbildwerft nicht nur professionelle Beratung und Betreuung, sondern umfassende Begleitung eines Prozesses erhalten würden, der sich retrospektiv anfühlt wie ein High-Intensity-Training in Sachen Fernsehproduktion.
Eine Ortsbegehung wies die Hindenburghalle des Museums als bestgeeignetes Studio aus, die angrenzende Anlieferung würde als Regie dienen. Es sollte vier Podien für Moderation, Direktorin, Kuratorin und Kurator geben sowie eine Live-Schalte mit externen Expertinnen, die an jedem Punkt durch Fragen aus der Community vertieft werden sollten. Und natürlich eine kommentierte Live-Vorführung des debatorial® selbst.
Besprechungen mit allen Beteiligten des Museums vor und hinter der Kamera brachten unsere Vorstellungen zur Deckung mit der technischen Machbarkeit und einer von Christian Wütschner angepassten Dramaturgie, die sich von den uns bekannten deutlich unterschied – ein Reality-Check des Profis, der in „Fernsehlogik“ unserem eher durch Vortragslogik geprägten Denken das dem Anlass entsprechende Update lieferte: An- und Abmoderationen, Übermoderationen, Gespräche, Blicklenkung, Bauchbinden, Schalte, Vorspann, Abspann, Splitscreen, On, Off, Dispo, Sendeablauf.
Stichwort Sendeablauf. Was wir anfangs intern in großzügige fünf- bis 15-Minuten-Blöcken in eine Exceltabelle gefasst hatten, wurde dank SAM – der Sendeablaufmanagement-Software der bewegtbildwerft – in sekundengenaue Elemente getimed, die technische Quelle erfasst, die jeweilige Rolle der Beteiligten definiert, Moderationstexte hinterlegt, deren Sprechlänge automatisch errechnet. SAM war für unsere Planung unersetzlich.
Am 24. September 2020 waren wir dann tatsächlich das erste Mal live. 120 Minuten Nervosität und Anspannung vergingen wie im Flug und endeten in übergroßer Zufriedenheit eines reibungslos verlaufenen Launchs, samt reger Beteiligung der Community. Dem vorausgegangen waren ein Tag Aufbau samt Testlauf und spontan neu gelegter Internetleitung, eine Probe am Folgetag und eine Generalprobe unmittelbar vor der Sendung.
Next Step Online Opening
Bis Dezember 2020 war nicht absehbar, ob und wann das Museum seine Türen wieder würde öffnen dürfen. Eine physische Eröffnung der Ausstellung „Beyond States. Über die Grenzen von Staatlichkeit“ war aber schon aus pandemischer Verantwortung heraus für uns ausgeschlossen. In der Zwischenzeit hatten diverse Museen ihre Ausstellungen digital eröffnet, so dass mit der Entscheidung für ein Online Opening erneut klare Vorstellungen an die bewegtbildwerft kommuniziert werden konnten.
Anders als beim Launch des debatorial® musste die Ausstellung jedoch zusätzlich zur Studiosituation durch eine Kuratorinnenführung vermittelt werden. Diese im Vergleich ungleich komplexere dramaturgische und technisch umzusetzende Produktion wurde – wie wir es vom Team der bewegtbildwerft kannten – durch zahlreiche Vorabgespräche begleitet und letztlich über eine geführte mobile Kamera gelöst. Auch wurde das Zeitmanagement angepasst, Aufbau, Proben und Abbau auf mehrere Tage verteilt. Das Team des Museums konnte auf Kenntnisse mit bereits bekannten Tools (z.B. SAM) zurückgreifen, seitens der Produktion mussten aber neue technische Lösungen gefunden werden, die das gewünschte Wechselspiel aus Studio und Schalte erst möglich machten. Eine Kamera-Funkstrecke kam hier ebenso erstmals zum Einsatz wie die Live-Übertragung von über die Regie eingespielten Zuschauerfragen.
In erprobter Fernsehlogik beschränkten wir das Online Opening in unserer Planung auf 90 Minuten. Dank zahlreicher Fragen und Kommentare aus der Community konnte dieses Zeitfenster nicht ganz eingehalten werden – diese Overtime haben wir jedoch sehr gerne in Kauf genommen.
Denn letztlich wurde hierdurch dieses „bessere Netflix“ in einer möglichen Form eingeführt: Eine an Fernsehproduktionen angelehnte, live übertragene Präsentation musealer Inhalte, die in der Lage ist, Komplexität in angemessener Form zu vermitteln und Interaktion durch Chats und Kommentare zu ermöglichen. Oder wie eine Fachkollegin es ausdrückte: „Das war die beste Online-Eröffnung, die ich je gesehen habe!“
Unser Dank gilt Christian Wütschner und seinem Team der bewegtbildwerft für die hochprofessionelle Produktion. Und ganz besonders für die einfühlsame Betreuung.